Christa Langen-Peduto, Rom
Niemand sass rechts und links vom Laufsteg. Und dennoch hatte Mailands Modezar Giorgio Armani die meisten Zuschauer. 1,6 Millionen Augenpaare. Denn er hatte Premiere mit seinen Modellen für Frühjahr und Sommer 2021 im italienischen Fernsehen, im Privatsender LaSette, gar im Hauptabendprogramm am Samstag. Mode gehe alle was an, so die Antwort des Starstylisten auf die weiterhin geltenden Corona-Einschränkungen. Mitten in der Modewoche im letzten Februar war die Pandemie gerade in der Region rund um Mailand ausgebrochen. Und schon damals hatte Armani als erster reagiert, die aus aller Welt angereisten Gäste sozusagen ausgeladen und nur vor Videos und Laptops zusehen lassen. Jetzt, bei der Mailänder Modewoche Ende September, also nur noch Bildschirm-Teilnahme – aber ein voller Erfolg ohne Applaus, eine Schau ohne abschließende Verbeugung des Designers. Wie viele Modemacher in Mailand zeigte der 86jàhrige Damen- und Herrenmode, teils im Partnerlook. „Er“ trägt einen enganliegenden grauen Sacco wie eine zweite Haut, „Sie“ ebenso. Dazu Stehbörtchen oder auch Revers-Kragen. Hosen enden oberhalb des Knöchels. Flatternde gemusterte Mäntel haben Wadenlänge. Chiffonblusen sind mit kleinen Rüschenkragen geschmückt. Wenig leuchtende Farben, vor allem Grau/Schwarz-Schattierungen, blasses Grün und Glitzerstoffe für den Abend. Alles sehr dezent, hochelegant, klassisch. “Zeitlose Gedanken“ nennt Armani diese Kollektion.
„Weniger, aber besser machen“, so ansonsten das Motto der in Mailand vorführenden Designer. Längst nicht alle waren gekommen; es fehlten Stars wie Gucci, Jil Sander und Bottega Veneto. Und auch Journalisten sowie Einkäufer waren rar. Doch wer dabei war, handelte im Sinne von „jetzt erst recht“. Mit 65 000 Firmen und 580 000 Beschäftigten ist die Modebranche ein bedeutender Faktor der italienischen Wirtschaft. Da heißt es weitermachen, jetzt in gemeinsamen Anstrengungen dem Virus trotzen. So gab es zusätzlich zu den 74 digitalen Schauen immerhin 82 Live-Events, veranstaltet unter größten Corona-Sicherheitsvorkehrungen. Überall viele leere Stühle, um den Abstand einzuhalten, oft nur 50 geladene Gäste. Bei Dolce & Gabbana ähnelten sich diese alle. Sie hatten ihre Mund- und Nasenpartie mit vielfarbig gemusterten Stoffmasken verhüllt, die die Meisterschneider zusammen mit der Einladung geschickt hatten. Ganz im Hippie-Stil ihrer fröhlichen Kollektion, deren Kleider und Hosenanzüge wie ein knallbunter Flickenteppich zusammengesetzt waren.
Doch auch sonst sprühte Mailand, trotz ein wenig gedrückter Stimmung, vor phantasievollen Einfällen. Ein Highlight war wieder Miuccia Prada, die erstmals nicht allein kreiert hatte. Sie hat jetzt den talentierten Belgier Raf Simons an ihrer Seite, der schon bei Dior und Calvin Klein gearbeitet hat. Das Duo bot in digitaler Schau originellen Uniformlook, mit gerade geschnittenen Hosen oder engen Kleidern zu Mantelumhängen mit allerlei Schlitzen. Die Hand wird gebraucht, um diese wadenlangen Überwürfe in Brusthöhe zusammenzuhalten Darunter schauen lange Ärmel mit Lochmuster hervor. Röcke haben aufgesetzte Nylontaschen, in denen sich bequem das Smartphone unterbringen lässt. Das Ganze ist präsentiert in zitronengelber Unifarbe, oder auch mal in Weiß mit roten Farbklecksen darauf. Die Römerin Silvia Venturini-Fendi hingegen, „Waise“ des verstorbenen Mit-Designers Karl Lagerfeld, präsentierte ihre letzte Kollektion im Alleingang. Ab 2021 wird sie der Engländer Kim Jones unterstützen. Diesmal eher typisch römische Einfälle mit halb transparenten Tuniken und Schürzenteilen, die wie Tischdecken und feine Bettlaken bestickt waren. Im Publikum auch die Münchner Fernseh- und Filmschauspielerin Lisa Vicari. Donatella Versace, beliebt in der Flimmerwelt, war eine der wenigen, die auch an Sex- und Showeffekt gedacht hatten. Viel Beifall bei ihr für Model Irina Shayk im Taftkleid mit großzügigem Dekolletée und Beinschlitz, bestickt mit Seesternen aus Kristallen.
Nach 13 Jahren erstmals wieder in Mailand dabei war Valentino. Paris liess Pierpaolo Piccioli, den Stylisten des Hauses, bewußt links liegen. Aus zweierlei Gründen: Zum einen, um seine italienische Heimat in schweren Krisenzeiten zu unterstützen. Zum anderen, um sein Mitarbeiterteam zu schützen. Schließlich gab es zum Zeitpunkt der Modevorführungen fünfmal so viele Corona-Fälle in Frankreich wie in Italien. Seine 66 Modelle ließ Piccioli, der in Fachkreisen als der derzeit beste Designer Italiens nach Armani gerühmt wird, nicht von Mannequins, sondern von hübschen jungen Mädchen vorführen, die in europäischen Hauptstädten von der Straße weg engagiert wurden. Zwei Monate dauerte das Casting. Lange Chiffonkleider im Valentino-Rot, mal unifarben, mal mit Blüten und Blättern gemustert, mit über den Boden schleifenden Abschluss-Volants. Zu Jeans im Levis-Stil lässt er üppige weiße Spitzenblusen tragen. Für den Hochsommer schlägt er einfache weiße Minihänger à la Twiggy vor. Weibliche wie männliche Models trugen gehäkelte Jäckchen. Alles vorgeführt in einer alten, mit Blattpflanzen geschmückten Gießerei, bei Live-Musik mit dem britischen Sänger Labrinth. Wird es künftig bei Mailand bleiben? „Der Augenblick ist zu schwierig, um Zukunftsprojekte zu machen“, meint der Valentino-Designer. Alberta Ferretti hingegen blickt optimistischer in die Zukunft. Im Schlosshof lässt sie Hosenanzüge, Complets in Shorts-Kürze, aber auch romantische Rüschenblusen zu wadenlangen, engen Röcken vorführen. Mit Absicht trägt niemand eine Maske. „Ich bin optimistisch und will denken, dass wir im nächsten Frühjahr keine mehr brauchen“, erklärt sie.
Wie immer elegant bis sportlich die Linie von Max Mara. Hosenanzüge haben schlabbrig weit fallende Beine. Tageskleider sind oft hellblau, was die neue Modefarbe für 2021 ist. Zu bedruckten Mini-Shorts mit Gürtel wird oben herum nur ein BH aus demselben Stoff getragen. Dieser Einfall von Etro für immer heißer werdende Sommer könnte ein Hit werden. Gut tragbare Modelle mit wenig Hosen und vielen Kleidern bei Hugo Boss. Eigentlich wollte das Unternehmen mit Designer Ingo Wilts in Mailand groß die 20 Jahre seiner Damenlinie feiern. Doch zu viele Corona-Auflagen machten das unmöglich. Jeremy Scott, Designer bei Moschino, fiel auf mit einer besonders originellen Idee. Seine romantische Kollektion, selbst das Brautkleid, wurde auf Marionetten in einer Art Puppenshow in Social Media gezeigt.
Die Accessoires? Immer noch recht kleine rechteckige Handtaschen, flache Sandalen an den Füßen oder auch Sneaker, die wieder klassischer aussehen. Fast wie Tennisschuhe. Und generell lässt sich sagen: Mailand verdient Respekt für das, was die Organisatoren und Stylisten trotz Pandemie-Zeiten auf die Beine gestellt haben.